Rüdiger

Du sitzt schon auf der Treppe vor der Notschlafstelle, als ich zum Dienst antrete.
Früher als die meisten, denn heute ist es besonders kalt und die Plätze sind begrenzt.
Ich weiß, dass es dir schwerfällt, über Nacht herzukommen. Nicht, weil du dich schämst, auch nicht weil du befürchtest, die Nacht nicht ohne einen nächsten Schuss überstehen zu können. Der Grund ist Luna, deine Hündin, die dich am Leben hält und für deren Leben du alles tun würdest.
Wenn du von ihr erzählst, leuchten deine traurigen Augen. Sie ist der Grund, warum du damals rechtzeitig die Schienen verlassen hast, sie ist der Grund, aus dem du nicht kriminell wirst.
Dich habe ich sofort ins Herz geschlossen.
Trotz deines Leids und deiner Sucht ist es dein großes Herz, das du den Menschen zeigst.
Du hast dir dein Leben nicht ausgesucht und ich weiß nicht, was dich in diese Lage gebracht hat. Darüber möchtest du nicht reden und darauf kommt es hier nicht an.
Ich bewundere dich, wie du mit deiner Lage umgehst, Ehrlichkeit und Dankbarkeit nicht verlierst, deine Freundlichkeit und dein Interesse.
Du weißt, dass du hier Mensch sein kannst, dass du gesehen wirst.
Für ein paar Stunden sind wir so etwas wie eine Gemeinschaft. Bis sich am Morgen unsere Wege wieder trennen. Ich mache mich auf den Weg nach Hause, wo ein warmes Bett auf mich wartet. Du hast es eilig, Luna und der nächste Schuss warten.
Manchmal begegnen wir uns am Bahnhof, oder in der Stadt, nicken uns lächelnd zu.
Wissen von unserer Unterschiedlichkeit und von dem Blick, in dem wir uns als Menschen begegnen.